Stippvisite in Kopenhagen
Wieder einmal eine neue Er-Fahrung. Mit dem Auto in den Bauch der Fähre, der wir vor Jahren sehnsuchtsvoll mit den Augen folgten. Rostock-Gedser. Der Rostocker Hafen, einst wichtiger Handels-und-Umschlagplatz, dümpelt unter wehenden Firmenflaggen vor sich hin – viel Cargo wird hier nicht umgeschlagen. Unser Schiff, die "Berlin-Express" der dänischen Linie Scandlines. Erster Eindruck: Ziemlich klein. Doch nachher, in der Lounge, sagt die Lautsprecherstimme, dass dies die größte Einzelrumpfaluminiumfähre der Welt ist. Dass sie 35 Knoten macht, das sind beachtliche 65 km/h. Beim eventuellen Rutschen hinab in die aufblasbaren Rettungsinseln sind Stöckelabsätze zu vermeiden. Leichte Brise, ein bisschen Regen gegen die Scheiben. Duty-free-Schnickschnack (keine Butter!), nach 80 Minuten Anlegen in Gedser, Königreich Dänemark, 5,15 Mio EW, zum Staatsgebiet zählen auch die Färöer-Inseln und Grönland. Was weiß man sonst noch? Tycho Brahe, Hans Christian Andersen, die Kleine Meerjungfrau, Thorvaldsen, Rasmussen, Tivoli, Margarete die Zweite, Karen Blixen, Martin Andersen Nexö, die Olsen-Bande. Noch 160 km auf der E 55 nordwärts über die Insel Seeland, weite Ostseelandschaft, Wolkengebirge, Schlehengestüpp, kleine Gehöfte. Im Märzen der Bauer.
Die Hauptstadt KØbenhavn. Ein bisschen
Umherkurven nach Stadtplan. Ledige
pladser – das sind freie Parkflächen.
Das
Hotelviertel. Die Istedgade. Historisches aus dem Hochglanz-Guide: Diese Straße
lieferte zur Zeit des Widerstands gegen die deutsche Besatzung einen
landesweiten Slogan: "Die Istedgade ergibt sich nicht!" Aktuelles aus
dem gleichen Prospekt: "Später übernahmen die Macht die Pornoshops, die
Prostitution, der Drogenhandel." Die Gegend, Bahnhofsnähe, geräuschvoll,
viel Volks, international, SuffköppInnen, FixerInnen. (There is something rotten in the state of Denmark, aber Hamlet von
Kronborg bzw. William Shakespeare haben Leipzig nicht gekannt oder Hamburg.)
Eine etwas strähnige Yvonne in Begleitung von Dynamit-Harry streben vorüber,
heben je eine Flasche Carlsberg zum Mund. Was mag ihnen durch den Kopf gehen?
Etwa dass sie, als Kunden der berühmten Carlsberg-Brauerei, 2000 Kopenhagenern
Arbeit geben? Denn, oh, es war nicht ihre erste Flasche heute - rechtzeitig
erreichen sie einen Laternenmast zum Verweilen. Ein anheimelndes Bild – wie bei
uns vor der Halle.
Eine Querstraße
nördlich öffnet sich dem Auge elegante Weltstadt, pariserisch, helsinkisch,
klassizistisch, charmant, neonbunt im Nachtregen. Das kunstschmiede-umgitterte
Tivoli, vielleicht Europas altehrwürdigster Vergnügungspark, Attraktioner og kvalitetsoplevelser for hele
familien, Attraktionen und Qualitätserlebnisse für die ganze Familie, so
verspricht die Reklame – allerdings erst ab April. Der Rathausplatz. Wer sich
verläuft, darf deutsch nach dem Hotel fragen und bekommt freundlich Antwort –
in Englisch.
Am nächsten
Vormittag wieder einmal schöne Begegnungen des Autors dieser Zeilen mit Kindern
und Deutschlehrern in einer deutschen Schule. Organisiert vom Kopenhagener
Goethe-Institut: "Goethe-Workshop." Der Gast hat das Wort: Fragen:
Woher, wohin, Deutschland, wie kann einer dort noch Schriftsteller werden und
bleiben? Bist du ein Optimist oder hast du einen Hund? (Letztere Frage kam in der
Pause von einem jüngeren Teilnehmer. Da fällt dem Autor eine jüngst erfahrene
Chemnitzer Schülerdefinition der Frage ein, was ein Optimist sei: "Ein
Optimist ist – ein Lehrer, der nichts mehr dagegen unternimmt.")
Man duzt sich
übrigens auch unter wildfremden Erwachsenen.
Der Nachmittag
ist frei für einen Bummel zur kleinen Meerjungfrau. Den lille havfrue gilt als Wahrzeichen der Stadt, sie ist das
geistige Kind des Märchendichters Hans Christian Andersen und das zugleich
materielle des Bildhauers Edvard Eriksen und dessen Auftraggebers, eines
Carlsberg-Chefs, aus dem Jahr 1913. Man hat gelesen, dass der Ärmsten voriges
Jahr wieder mal der Kopf abgesägt wurde. (Das erste Mal geschah das 1964,
damals wurde sogar die Mordkommission gerufen, der Kopf aber nicht gefunden.)
Ein Nach-Abguß aus der noch vorhandenen Gußform ersetzte den Verlust. Nun sind
kopflose Jungfrauen ja keine Seltenheit, und 1998 ermittelte nur noch die
normale Kripo.
Der Weg führt
teilweise an Attraktioner og
Kvalitetsoplevelser vorüber, über die der Gast nur Prospekte ramschen kann,
und die übrigens nicht alle auch für die ganze Familie empfohlen werden.
Da wäre Louis
Tussauds Wax Museum. Die Königsfamilie in elegantem Rahmen. Dick und Doof.
Jelzin, auf dem Prospektfoto ein bisschen wie Egon Olsen. Das Schreckensgewölbe
im Keller verheißt Grauen und Spannung.
Das
"Believe it or Not!", ein Kuriositätenkabinett des
Entdeckungsreisenden R. L. Ripley, darin eine Kopie von Robert Wedlow, dem
größten Mann der Welt. Von El Fusilado, der neun mal erschossen wurde und doch
überlebte. Von der Frau mit dem Gänsehals.
Die Ny Carlsberg
Glyptothek, (wieder hatten Carlsbergs bei der Gründung die Hand im Spiel bzw.
in der Spendierhosentasche, soll einer sagen, Brauereien wären keine Segen
spendenen Unternehmen), die prächtige, luxuriös ausgestattete Sammlung von
Marmorskulpturen von der Antike über Rodin bis zur Moderne.
Das Museum
Erotica Copenhagen, for details click http://www ...
Die Freistadt Christiania, einst fast ein Staat im Staate, von den Achtundsechzigern der Regierung abgetrotzt. Auf offenem Straßenmarkt Vertrieb von Pop-Schmuck und weichen (?) Drogen, deshalb auch "Klein Amsterdam" genannt, Auffangbecken und Asyl für Obdachlose und Junkies, vom Staat durch Steuerbefreiung der Bewohner honoriert.
Das "Experimentarium", ein Wissenschaftszentrum fürs breite Publikum. "Du kannst selber experimentieren, deinen Schatten einfrosten, mit der Windkraft spielen, deine Stimme besichtigen, deine eigenen Augen betrügen ..."
Das Schloß Christiansborg, die Königliche Bibliothek, der Botanische Garten, die Kanäle, die Zitadelle und und und.
Nun wieder live,
der weitläufige Hof von Amalienborg, dem Sommersitz der Königsfamilie,
britisch-bärenfellmützige Wachsoldaten in schwarzen Röcken und mit
aufgepflanzten Bajonetten, die wie am Schnürchen alle 15 Sekunden verschiedene
militärische Exaktheiten ausführen. Aber für den, der noch den Wachaufzug Unter
den Linden kennt, hat die Sache eher etwas Gemütliches, man kann bis auf Armlänge
an die standhaften Zinnsoldaten heran, gewinnt den Verdacht, sie haben diskret
Rouge aufgelegt. Auch folgen sie den Passanten mit den Augen, besonders den
jüngeren weiblichen.
Endlich die
Kleine Meerjungfrau. Da klebt sie mit ihren Flossen auf ihrem runden Stein und
schaut versunken in die Wellen des Øresund. Ja, ihr hübscher,
tragischer Kopf sitzt wieder drauf, und nur der Eingeweihte ahnt die
Schweißnaht.
Die Heimfahrt.
Drängelnder, ziemlich rigider Autofahrstil, ungefähr wie in Ostdeutschland.
Wieder Gedser, noch Zeit zu einem Rundgang. Früher hat man geglaubt, Gedser
müsse mindestens eine Stadt sein wie Rostock, und bestimmt feiner. Doch
hervorzuheben ist hier nur der Bäcker. Wegen seines Apfelkuchens. Hier könnte
der Gast ins Schwärmen geraten.